Das «Geheimnis» des CH-Berufsbildungssystems: Mit dualer Berufsbildung von Null auf Hundert

Daniel L. Ambühl, President past des SVIK, Bern

Gewerbe und Dienstleistung vermissen fundierte Berufsberichte in den Medien. Werdegänge, Kompetenzen und Kultur von etwa 250 Berufen bleiben deshalb verborgen. Im Folgenden soll sich das ändern.

Nicht nur Prominente, auch Berufsleute haben eine Karriere

Künstler, Sportprofis, Gewerbetreibende, Dienstleister und auch Politiker: Alle durchlaufen Lern- und Entwicklungsphasen. Sie bauen Wissen auf, entwickeln Können und wenden es in der Praxis an. Euphorie begleitet meist den Anfang. Mit der Zeit werden dann der begriffliche, fachlich-technische und organisatorische Informationsaufbau bedeutungsvoll. Zunehmend schwierigeren Aufgaben und Situationen begegnen Lernende mit erfolgreichen «tours de main». Ausdauernde gelangen zur Meisterschaft. Talente fallen allerdings nie vom Himmel: Durchhaltewillen ist gefragt. Ob ein Mensch letztlich auf dem Stellenmarkt ankommt, ist auch von der Nachfrage abhängig.

Berufsleute entwickeln sich über Handlungskompetenzen

Jeder berufliche Weg führt über die Grundbildung, zur Sachbearbeitungs-, Fach- und dann zur Meister- oder Expertenstufe (s.a. Grafik). Sprach- und Fachwissen mit Fokus auf Handlungskompetenzen verlaufen parallel zum Stand des Könnens. Selbst- und Sozialkompetenzen gehören auch dazu. Nur so entstehen wirksame Teams. Ausbildner, die selbst exzellente Arbeit geleistet haben, sind ständige Begleiter.

Jeder Ausbildungsstufe folgt eine Prüfung

Jedes vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) genehmigte Berufsbild muss sich dem gleichen Prüfungsprozedere unterziehen. Der Grundbildung folgt in der beruflichen Weiterbildung die Stufe «Sachbearbeitung». Daran angeschlossen ist die fachliche Ausbildung mit dem eidgenössischen Fachausweis. Der krönende Abschluss bildet die Meister- oder Expertenstufe, nämlich die Höhere Fachprüfung mit dem eidgenössischen Diplom. Letzteres bewegt sich im Qualifikationsrahmen auf den Stufen 6 bis 8. Die Prüfungsvorbereitungen verlaufen stets parallel zum Praxiseinsatz. Fachliche Richtungswechsel sind dennoch jederzeit möglich.

Die wachsende Komplexität beruflicher Situationen verlangt Anpassungsfähigkeit. Bestandenes und neues Wissen und Können werden in der täglichen Praxis abgeschliffen. Das berufliche Ausbildungsund Qualifikationsverfahren mit den Prüfungsstufen eignet sich vorzüglich dazu. Die höhere Berufsbildung ist hoch effizient; sie gewinnt deshalb zunehmend an Bedeutung.

Bildung im Kreise Berufener

Prüfungsvorbereitungen erfolgen stets ausbildungsbegleitend in fachlich beschlagenen Personenkreisen. Dabei werden stets fachliche und menschliche Qualitäts- sowie Effizienzfragen behandelt. Angemessene Fehlerkultur wird gleichzeitig entwickelt. Beruflich Geschulte können deshalb mit Leistungsdruck
oft besser umgehen. Sie verfügen über die – wie die Uhrmacher sagen – nötige Laufruhe, Präzision und Gangreserve. Somit ist der Return-on-investment für den Staat gesichert.

Interdisziplinäre berufliche Stufen sind wesentliche Teile der dualen Berufsbildung. Das ist die Domäne der Berufsfachschulen und der Ausbildungsinstitute der Höheren Berufsbildung. Der Erfolg des schweizerischen Berufsbildungssystems belegt es: Praxis- und stufenorientierte Ausbildung für alle ist vorteilhaft.

Folgerungen

Berufsbildung ist das Lebenselixier unserer Volkswirtschaft. KMUs tragen mit ihren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten eben so viel zur Innovationskraft der Schweiz bei wie Grossunternehmen. Berufsbildungsforschung ist deshalb nicht nur Sache der akademischen und staatlichen Institutionen. Moderne Praxisausbildung benötigt aber eindeutig mehr Mittel. Dass deshalb u.U. die Bundes- und Kantonssubventionen stärker umzuverteilen sind, sollte die sonst davon profitierenden Bildungsinstitutionen nicht sorgen; sie erhalten künftig mathematisch und sprachlich besser vorbereitete Studenten und Wissenschaftler.

Lesen Sie den ganzen Bericht hier.

Grafik

P.S. Weiterführende Informationen finden sich in der Publikation des BA für Statistik zum Thema «Ausbildungssituation der Kandidatinnen und Kandidaten der höheren Berufsbildung www.bundesamtfürstatstik.ch

Statistisches zum Thema:

BA für Statistik: Zahlen 2021 (letzte Veröffentlichung)

Bildungsstand der Schweizer Bevölkerung

  • 33,4 % Berufliche Grundbildung
  • 6,8 % Allgemeine Ausbildung
  • 46,0 % Tertiärausbildung
    • 15,3 % Höhere Berufsbildung
    • 30,8 % Hochschulen
       

Höhere Berufsbildung 2022

  • Prüfungsabsolventinnen und -absolventen: 3’950 Personen
  • Diplomempfänger: 2'675 Personen
  • Bereitschaft, die gleiche Ausbildung wieder zu machen liegt bei 85 %

Angaben zur Finanzierung (Öffentliche Hand, Firmen oder Privat), Abschlussbezeichnungen, Ausbildungsorte usw. finden sich in den Unterlagen des B für Statistik

Lehrkräfteverteilung im Tertiären Bereich

  • Hochschulen inkl. Hochschulpersonal: 102'900 Personen
  • Höhere Fachschulen: 8'200 Personen

Bildungsausgaben: CHF 41,3 Mrd. oder 5,6 % des BIP

Gedankliches (Unbeantwortetes) zum Thema

  • Warum wählen heute so viele Leute den akademischen Weg, wenn sie letztlich doch in einem Berufsfeld oder sogar Berufsbild landen?
  • Warum wird die akademische Berufsbildung so benannt, wenn sie eigentlich nur dazu dient, Bildungsprogramme für den akademischen Bereich aufzubereiten?
  • Ein gutes Beispiel ist die Aarauer Bildungsforschungsstelle unter Prof. Wolter, die sich vor den branchenbezogenen beruflichen Ausbildungsfragen ins Nebulöse verzieht.