Interne Kommunikation in agilen Unternehmen

Die interne Kommunikation hatte schon immer zur Aufgabe, die sich wandelnden Kernanliegen einer Organisation zu unterstützen. Aktuell werden Unternehmen agil gemacht und deshalb traditionelle Hierarchien durch heterarchische, holokratische oder andere Organisationsformen abgelöst. Die Zusammenhänge und was das für die interne Kommunikation bedeutet lesen Sie hier.

von Joachim Tillessen, Leiter Fachrat SVIK

Agilität wird definiert als ein Paradigma der Unternehmensführung. Sie stellt die Fähigkeit einer Organisation dar, flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Initiative in Zeiten des Wandels und Unsicherheit zu agieren. Das Konzept stammt aus dem Bereich der Produktion und wurde von Managementgurus wie Rosabeth Moss Kanter und Tom Peters als Quelle für einen Wettbewerbsvorteil genannt[1]. Ziel ist es, eine Robustheit nicht aufgrund von Festigkeit oder Solidität zu erzielen, sondern durch eine grösstmögliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.

Eine Befragung bei 500 europäischen Topmanagern (2010) ergab, dass Agilität als Differenzierungsmerkmal und gleichzeitig als kritischer Erfolgsfaktor beurteilt wird. Einig ist man sich dabei, dass Hierarchien mit ihren starren Abläufen in der VUCA-Welt[2] nicht mehr gewachsen sind und die agilen Unternehmen dank ihrer Innovationskraft die (künftigen) Taktgeber darstellen.

Hybride Handlungs- und Organisationsformen

Man kann davon ausgehen, dass heute noch hierarchisch funktionierende Organisationen zunächst hybride Handlungs- und Organisationsformen entwickeln, in denen Planung und situatives Handeln, Hierarchie und Heterarchie gleichwertig abgebildet sind. Ist ein solches duales System erfolgreich etabliert, sind in einem zweiten Schritt gänzlich heterarchische Systeme oder gar Formen wie die Holokratie denkbar. In einem hybriden Organisationsform wäre die bisherige Hierarchie demnach für die Standards, die sicheren Abläufe und den Halt verantwortlich. Die flexiblere Heterarchie würde die Innovation und Flexibilität einer Organisation übernehmen – aber dazu später.

Dieser nun neu etablierte, flexible Teil der Organisation kann seine Aufgabe nur dann wirkungsvoll erfüllen, wenn seine Mitglieder gegenüber Marktentwicklungen aufmerksam und wachsam sind, Opportunitäten rasch erkennen und gemeinsam nutzen wollen. Dies wiederum bedingt zunächst die Volonté zur Zusammenarbeit, zur Vernetzung und zum Wissensaustausch. Diese Collaboration und das Networking gelingen wiederum dann am besten, wenn die interne Kommunikation ihre ’neue‘ Rolle richtig erfüllt:

  • Trends von aussen in das Unternehmen tragen
  • Förderung des Ideenaustausches und des unternehmensinternen Dialoges
  • Sicherstellung von Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit im Handeln und in der Kommunikation selbst
  • Unterstützung der notwendigen Entscheidungsgeschwindigkeit
  • Support bei der Umsetzung von Projekten und Initiativen in mehrdeutigen und komplexen Situationen
  • Förderung von Zusammenarbeit und Vernetzung
     

Neues Management-Denken

In diesem Kontext ist aber auch ein neues Management-Denken und -Handeln erforderlich. Es lässt sich wie folgt charakterisieren:

Bewertungen finden nicht mehr aus der Perspektive der Planbarkeit und der Rationalität statt, sondern im aktuellen Kontext, den Einzelteilen und im konkreten Zusammenhang
Organisationsentwicklungen werden nicht mehr durch Expertenwissen gesteuert, da zu komplex und mehrdeutig, sondern durch das Expertenwissen des gesamten Teams
Anstelle der Beherrschung komplexer Situationen durch klare Routinen und Strukturen, wird Komplexität kultiviert (Komplexität als Konstitutiv für erfolgreiches Handeln)
Statt im Rahmen der Komplexitätsreduktion wichtige Aspekte der Wirklichkeit auszublenden, wird die Entwicklung eines Systemverständnisses und eine Kultur der Unterstützung und Zusammenarbeit zum Erfolgsfaktor
 

Diese Denkansätze führen wiederum zu folgenden Anforderungen an die Mitglieder einer Organisation:

  • Umgang mit Ungewissheit und Widerspruch in der Richtung, dass diese ‚ausgehalten‘ werden
  • Vermehrt kritische Prüfung von «Fakten und Daten»
  • Erhöhte Sensibilisierung für Fehlschlüsse
  • Ruhe und Nervenstärke in Turbulenzen bis richtige Diagnose gegeben (z. B. durch Plausibilitätsprüfungen und Anwendung der Szenarientechnik)
  • Kompetenz, Komplexität schnell zu durchdringen und Muster zu extrahieren
     

Einer der Schlüssel dafür ist die Kollaboration. Die Zusammenarbeit und der ebenso wichtige Wissensaustausch sollten abteilungs- und organisationsüberschreitend erfolgen: in Teams, die parallel an verschiedenen Elementen, aber mit den gleichen Ziele arbeiten, wodurch verschiedene Perspektiven eingenommen und durch gemeinsames Beobachten und Analysieren Wirkungszusammenhänge und Handlungsoptionen erkannt werden können.

Um diese Einstellungs- und Handlungsziele zu erzielen, sind Austausch- und Zusammenarbeitsräume notwendig (z. B. moderne Online-Plattformen). Noch entscheidender jedoch sind glaubwürdiges und kongruentes Handeln der Vorgesetzten. Gute interne Kommunikation kann einen wichtigen Beitrag leisten. Es muss ihr gelingen, den Mitarbeitenden aller Stufen bewusst zu machen, dass ihre Beiträge und die Bereitschaft zum kontinuierlichen Nachrichten- und Wissensaustausch direkte Auswirkungen auf die Agilität des Unternehmens, auf dessen Resilienz und damit auf den langfristigen Erfolg haben und somit letztlich in ihrem eigenen Interesse liegen.

Parallelität von Hierarchie und Heterarchie – und was ist mit der Holokratie?

In einem hybriden System – in diesem Fall Hierarchie und Heterarchie – müssten klar definierte Prozesse sicherstellen, dass Innovationen, neue Abläufe usw. kontinuierlich vom flexiblen Organisationsteil in den statischen transferiert werden. Wie schon dargelegt hätte die Heterarchie gewissermassen als „Change Agent“ die „Firstmover“-Rolle inne. Die Hierarchie würde die Solidität, den Standard und die Sicherheit garantieren. Die interne Kommunikation würde prioritär dafür sorgen, dass beide Subsysteme funktionieren (indem entsprechende Austauschplattformen bereitgestellt werden – auch informelle!).

Eine parallel stattfindende Digitalisierung sämtlicher Geschäftsfelder führt automatisch zu weiterer Aufweichung hierarchischer Regeln. Die Folge: Es entstehen immer mehr Netzwerke, die untereinander mit Knoten verbunden sind, grenzenlos expandieren und immer neue Knoten integrieren können, solange diese Knoten dieselben Kommunikations-Codes enthalten. Diese Codes bilden die DNA eines Unternehmens ab. Sie bestehen im Wesentlichen aus denselben Werten und Leistungszielen sowie gemeinsamen Führungs- und  Verfahrensgrundsätzen, klar definierten, operativen Entscheidungsspielräumen sowie einem gemeinsamen Strategieverständnis. Dieser Zielzustand ist über einen Kulturentwicklungs-Prozess zu erreichen, der nicht ausschliesslich Top-down geführt werden darf.

Damit wird es möglich, intraorganisationale Netzwerke, bestehend aus unabhängigen Einheiten, weiter mit Netzwerken auch ausserhalb der Organisation zu verbinden. So können Teilprozesse relativ einfach (auch juristisch) ausgelagert oder umgekehrt Innovationsstrategien mit Inkubatoren reibungslos realisiert werden.

Holokratie als weitere Steigerungsform

Diese intra- und extraorganisationale Netzwerke  funktionieren also primär durch Kollaboration und nicht mehr aufgrund von Direktiven (z. B. Projektauftrag in Hierarchien). Sie definieren eigenständig ihre Ziele und Aufgaben, aber immer im Kontext von Organisationszielen und im Fokus kollaborativer Lösungen. Und jetzt sorgt die interne Kommunikation primär für eine sinnstiftende, prozessuale Koordination und Kollaboration. Damit ist eine vollkommen hierarchielose Zeit denkbar. Und damit und dank der bereits erwähnten Kommunikations-Codes ist auch die Organisationsform der Holokratie nachhaltig denkbar.

Eine Holokratie besteht aus sog. ‚Holons‘, vereinfacht völlig selbständig agierenden Gruppen, die mit allen Kompetenzen (vom Strategiemanagement bis zur operativen Umsetzung) ausgestattet sind. Ein solches Holon wird zuerst dafür sorgen, dass es selbst funktioniert und dann seinen Beitrag für die restliche Organisation leisten. Ihre Mitglieder nehmen jeweils mehrere unterschiedlich bedeutsame Rollen gleichzeitig war. Sie (die Mitglieder bzw. jedes Team) agieren in sich selbstständig und kommunizieren untereinander über die entsprechenden Rolleninhaber.

Die damit erreichte Eigenständigkeit ist die Grundvoraussetzung für agil funktionierende Organisationen. Sie bedeutet aber auch ein Kontroll- und Steuerungsverlust für die Top-Ebene und verlangt eine enorme Anpassungsleistung von den Mitarbeitenden (Change). Auch in diesem Prozess ist die interne Kommunikation entscheidend. Will sie eine möglichst starke Wirkung erzeugen, sollte sie jedoch ‚dezentral‘ angelegt sein. Je näher die Kommunikatoren bei den Kommunikations-empfängern, desto glaubwürdiger, sprich effektiver die Kommunikation.  In dieser Situation verliert die interne Kommunikation zunächst ihre Funktion als primäre Kommunikationsquelle; sie wird jedoch neu zur Befähigerin und zur Moderatorin. Auch wird sie zuständig für die notwendige Orientierung und liefert eine Landkarte für das Navigieren in unbekannten oder unwegsamen Gelände.

Das kann sie, indem sie Themen selektioniert und aufschlüsselt und diesen den Mitarbeitenden vermittelt und indem sie ihre Sozialisationsfunktion in ausreichemden Masse ausführt (Bildung von formellen und informellen Plattformen für den Austausch und die Kollaboration).

Letzteres ist entscheidend, weil für die Mitarbeitenden die Hierarchie wegbricht und sie sich neu verankern müssen. Inwieweit dieses neue Selbstverständnis auf Dauer erfolgreich etabliert und auf hierarchische Formen verzichtet werden kann, wird sich weisen. Wie funktioniert in diesen Gruppen die Entscheidungsfindung? Wie gehen die Mitglieder mit dem Verlust ihres Status oder materiellen Fragen um? Hören Sie hierzu auch der Beitrag auf srf 1 (Echo der Zeit vom 1. Mai 2017): https://www.srf.ch/news/wirtschaft/was-wenn-es-keine-chefs-mehr-gaebe

Quellen:

Buchholz, U., Knorre, S., (2017), Interne Kommunikation in agilen Unternehmen, Springer Gabler, ISBN 978-3-658-16976-3

Peters, M. (2017) Radio DRS 1, Echo der Zeit, „Wenn es keine Chefs mehr gäbe“, 1. Mai 2017, www.srf.ch/news/wirtschaft/was-wenn-es-keine-chefs-mehr-gaebe (Zugriff 4. Mai 2017)

[1] Buchholz, U. (2017), Inerne Kommunikation in agilen Unternehmen

[2] VUCA: Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity